Tochter Zion und Spross Davids

Autor: Markus Rex

 

Viele ältere Menschen sind noch mit den tradditionellen Advents- und Weihnachtsliedern vertraut. Einige sind wirklich kitschig und von der Theologie des Mittelalters geprägt. Aber manche dieser alten Kirchenlieder beinhalten (wenigstens teilweise) echte biblische Wahrheiten und zeugen von einem geistlichen Tiefgang. Dazu gehören Lieder wie: “Tochter Zion freue dich…” oder “Es ist ein Ros (Reis) entsprungen… ”(nach der Fassung der Reformation). Besonders junge Leute schmunzeln darüber, weil ihnen der Text wegen der ihnen befremdlichen Ausdrucksweise gar nichts sagt. Als Christen sollten wir aber wissen, was die Begriffe „Tochter Zion“ und „Spross Davids“ bedeuten und was sie mit uns heute zu tun haben. Kurz gesagt ist mit Zion Jerusalem gemeint und der Spross Davids ist Jesus. Die genannten Begriffe kommen in biblischen Prophetien vor, die den kommenden Messias ankündigen. Doch ich eile voraus. Schauen wir uns zunächst einmal einige der Prophetien an.

Sacharia 9,9
Frohlocke sehr, du Tochter Zion; jauchze, du Tochter Jerusalem! Siehe, dein König kommt zu dir; ein Gerechter und ein Retter ist er, demütig und reitend auf einem Esel, und zwar auf einem Füllen, einem Jungen der Eselin.

 

Mit dem triumphalen Einzug Jesu in Jerusalem erklärte Matthäus diese Schriftstelle als erfüllt (s. Matth 21,4-5). Mit Prophetien, bzw. Vorhersagen in der Bibel ist es etwa so, als wenn wir ein Gebirgspanorama betrachten. In der Abendsonne sind nur die Silhouetten der Berggipfel zu erkennen. Es ist schwierig zu beschreiben, welcher Gipfel näher und welcher weiter weg liegt.

Manche Prophetien in der Bibel sind bereits erfüllt, wie z.B. der Vers in Sacharia 9,9, andere hingegen erfüllen sich erst noch, ohne dass wir immer wissen, zu welchem Zeitpunkt sie in Erfüllung gehen. Wir sollten wissen, in welcher Zeit der biblischen Prophetie wir leben, damit wir zum einen die Bibel richtig verstehen und zum anderen heutige Ereignisse richtig deuten. Bei Prophetien in der Schrift werden in nur einem Vers manchmal zwei oder mehr Ereignisse angekündigt, wobei aus unserer heutigen Sicht das Eine bereits erfüllt worden ist und anderes noch auf seine Erfüllung wartet, wie z.B. Jesaja 9,6:

Denn ein Kind ist uns geboren, ein Sohn ist uns gegeben; und die Herrschaft ruht auf seiner Schulter; und man nennt seinen Namen: Wunderbarer, Ratgeber, starker Gott, Ewig–Vater, Friedefürst.

 

Der erste Teil: “Ein Kind ist uns geboren” ist zum jetzigen Zeitpunkt bereits erfüllt. Der Sohn Gottes wurde als Mensch in diese Welt hineingeboren. Das heißt, Jesus war schon einmal da. Der zweite Teil des Verses: “Und die Herrschaft ruht auf seiner Schulter” wird erst noch erfüllt werden, und zwar wenn Jesus sein Königreich des Friedens auf dieser Erde aufrichtet (vergl. Jes 9,7).

So ähnlich sehen wir das auch in Sacharia 9,9-10. Der Vers 9 ist bereits erfüllt, wogegen Vers 10 erst noch erfüllt werden wird. „… und Er wird den Völkern Frieden gebieten; und seine Herrschaft wird reichen von einem Meer zum anderen und vom Strom bis an die Enden der Erde.“

Durch die Inspiration des Heiligen Geistes sah Matthäus also den Vers 9 als bereits erfüllt an, zumindest den Teil “reitend auf einem Esel”. Doch was ist mit dem Anfang des Verses: Frohlocke sehr, du Tochter Zion; jauchze, du Tochter Jerusalem! Siehe, dein König kommt zu dir“? In wieweit betrifft uns das heute?

Ursprünglich war Zion der befestigte Hügel der Jebusiter, den der König David ca 450 Jahre vor o.g. Prophetie erobert hatte. Die Burg Zion als Teil Jerusalems wurde danach “Stadt Davids” genannt (vergl. 2 Sam 5,7). Etwa 2,5 km nördlich davon liegt der Berg Moria. Auf diesem baute Salomo später den Tempel und erweiterte die Stadt Jerusalem bis dort hin.

Einige Generationen später wird “Tochter Zion” zu einem Begriff, der vor allem in den prophetischen Schriften auftaucht. Jesaja war ein redegewandter Mann, der mit Worten gewissermaßen ein Bild malen konnte. Er verwendete “Tochter Zion” als Name für die Stadt Jerusalem und auch für ganz Israel. Ganze 41 Mal kommt “Tochter Zion”, bzw. “Zion” in seinen Schriften vor, und zwar überwiegend im Zusammenhang mit Verheißungen des künftigen Friedensreiches (siehe z.B. Jes 52,7 u. 62,11).

Der Hebräerbrief weist darauf hin, dass auch die Gemeinde Jesu mit “Zion” verbunden ist (Hebr 12,22). In diesem Sinne ist die Hoffnung und Vorfreude Israels auch die Hoffnung und Freude der Gemeinde, denn wir erwarten denselben König.

Der Prophet Jesaja war ein Wortschöpfer. Die Bezeichnung für den erwarteten König in seinen Schriften war “Spross”. Die Propheten nach ihm übernahmen diese Bezeichnung und so entwickelte sich dieser Begriff als Eigennahme für den Messias. Jeder Jude wusste darüber Bescheid.

Jesaja 11,1-10
Und es wird ein Zweig (RELB.:Spross) hervorgehen aus dem Stumpf Isais und ein Schößling hervorbrechen aus seinen Wurzeln. … Und es wird geschehen an jenem Tag, da werden die Heidenvölker fragen nach dem Wurzelspross Isais, der als Banner für die Völker dasteht; und seine Ruhestätte wird Herrlichkeit sein.

 

Diesen Abschnitt in Jesaja 11 müssen wir im Zusammenhang mit Kapitel 10 verstehen. Darin werden die Assyrer mit einem Wald verglichen, den der HERR fällen wird. „Und er wird die Herrlichkeit seines Waldes und seines Fruchtgartens mit Stumpf und Stiel ausrotten …“ (v. 18). In seinem Gericht wird Gott das genauso mit Israel und Juda bzw. mit dem Haus Davids tun. “Siehe, da haut der Herrscher, der HERR der Heerscharen, die Äste herunter mit furchtbarer Gewalt; die Hochgewachsenen werden abgehauen … und er schlägt den dichten Wald mit dem Eisen nieder …”(v. 33-34). Das Königtum Davids wird abgehauen wie ein Baum, so dass nur noch ein Stumpf übrig bleibt.

Aber das soll nicht das Ende sein. Aus diesem Stumpf wird ein neuer Spross hervorgehen (s.o. Jes 11,1). Aus der Dynastie Davids wird ein neuer König hervor kommen – Jesus. In gleicher Weise sind auch die Aussagen in Amos 9,11-12 und Apg 15,16-17 zu verstehen “Nach diesem will ich zurückkehren und die zerfallene Hütte Davids wieder aufbauen, und ihre Trümmer will ich wieder bauen und sie wieder aufrichten”. In Offenbarung 22:16 sieht Jesus sich selbst als der Spross Davids: “Ich, Jesus … bin die Wurzel und der Spross Davids, der leuchtende Morgenstern.”

(Nebenbei bemerkt: Die Verse in Amos 9,11-12 und Apostelgeschichte 15,16-17 auf Anbetung zu beziehen, wie es hier und da geschieht, ist schlichtweg falsch. Die Hütte oder das Haus von jemanden bezieht sich in der Schrift immer auf die Familie bzw. Sippe. Das Haus Davids ist eine in der Bibel übliche Bezeichnung für seine Nachkommenschaft. Nirgendwo wird damit auch nur ansatzsweise die provisorische Behausung in Jerusalem bezeichnet, in die der König David die Stiftshütte brachte und wo er den Anbetungsdienst einführte. Um die Wichtigkeit der Anbetung Gottes hervorzuheben, gibt es treffendere Bibelstellen.)

Lange Zeit nach Jesaja griff auch der Prophet Sacharia den Namen “Spross” auf:

Sacharia 6,12-13
Und du sollst zu ihm reden und sagen: So spricht der HERR der Heerscharen: Siehe, ein Mann, dessen Name „Spross“ ist, denn er wird aus seinem Ort hervorsprossen und den Tempel des HERRN bauen. Ja, er ist’s, der den Tempel des HERRN bauen wird, und er wird Herrlichkeit als Schmuck tragen und auf seinem Thron sitzen und herrschen, und er wird Priester sein auf seinem Thron …

 

Interessant ist der Unterschied zwischen Jesaja und Sacharia. Beide benutzten das Wort “Spross”, um den Messias anzukündigen. Jesaja sieht Ihn als König, Sacharia sieht ihn jedoch als Priester. Aus natürlicher Sicht ist das auch nicht verwunderlich, denn Jesaja lebte zur Zeit der Monarchie in Israel und Juda. Sacharia hingegen trat erst nach dem Exil auf, als nämlich die Priester und nicht länger die Könige in Juda regierten (z.B. der Priester Esra). Wie dem auch sei, der Heilige Geist wollte darauf aufmerksam machen, dass der Messias König und Priester in einer Person sein würde – ein König wie David und ein Priester wie Melchisedek.

 

Jesus ist gegenwärtig unser König und Priester im Himmel. Er baut Seinen Tempel, nämlich die Gemeinde. Wir sind Sein Volk, wir sind das königliche Priestertum. Eines Tages wird der ersehnte Messias, Jesus, wiederkommen und hier Sein Friedensreich errichten. Dann wird Er auf der Erde herrschen als König und Priester.

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