Lehre und Meinungen

Autor: Markus Rex

 

Das kontinuierliche Bibellesen gehört zum Leben eines Christen genauso dazu, wie das tägliche Essen. Die Bibel ist nicht zuletzt deshalb das Wort Gottes, weil Gott durch sie zu uns redet. Sein geschriebenes Wort ist genauso viel wert, wie sein gesprochenes Wort. Nach dem Tod Moses sprach Gott zu Josua: „Wie ich mit Mose gewesen bin, so will ich auch mit dir sein“ (Jos 1,5). Mose war ein Prophet, und so sprach Gott direkt zu ihm durch Visionen und eine hörbare Stimme. Die Kommunikation zwischen Gott und Mose war so klar und deutlich, dass sie als „von Angesicht zu Angesicht“ bezeichnet wird (s. 5 Mos 34,10). Und jetzt kündigte Gott Josua an, er würde genauso mit ihm sein, wie mit Mose, d.h. sein Reden zu ihm würde von gleicher Qualität sein. Dann teilte er ihm mit, wie es konkret aussehen würde.

Josua 1,7-9
achte darauf, dass du nach dem ganzen Gesetz handelst, das dir mein Knecht Mose befohlen hat. Weiche nicht davon ab, weder zur Rechten noch zur Linken, damit du weise handelst überall, wo du hingehst! Lass dieses Buch des Gesetzes nicht von deinem Mund weichen, sondern forsche darin Tag und Nacht, damit du darauf achtest, alles zu befolgen, was darin geschrieben steht; denn dann wirst du Gelingen haben auf deinen Wegen, und dann wirst du weise handeln! Habe ich dir nicht geboten, dass du stark und mutig sein sollst? Sei unerschrocken und sei nicht verzagt; denn der HERR, dein Gott, ist mit dir überall, wo du hingehst!

 

Mit Mose kommunizierte Gott oft durch das gesprochene Wort und zu Josua wollte er hauptsächlich durch das geschriebene Wort reden. Es war genau das „Wort“, das Mose zuvor mündlich von Gott empfangen hatte. Für Gott machte das keinen Unterschied. Die Schrift hat für ihn denselben Stellenwert, als würde er direkt bzw. hörbar zu uns reden. Was Gott zu ihm sprach, schrieb Mose auf. (Alle weiteren Schriften des AT bauen auf dieser Grundlage auf.)

Zum Ende des Alten Bundes sprach Gott durch seinen Sohn Jesus zum Volk. Als Jesus auf der Erde war, war er unter den Menschen das lebendige Wort. Sie konnten durch ihn Gott akustisch hören, ihn ansehen und sogar berühren. Seine Jünger konnten ihre Fragen direkt an ihn richten und seinen Ausführungen lauschen. Jesus selbst lehrte seine Jünger und übertrug dadurch sein Wort an sie. Sie sollten seine Worte weitersagen: „Ich bitte … für die, welche durch ihr Wort an mich glauben werden“ (Joh 17,20). „So geht nun hin und macht zu Jüngern alle Völker … und lehrt sie alles halten, was ich euch befohlen habe … (Matth 28,19-20). Die ersten Gläubigen „blieben beständig in der Lehre der Apostel“ (Apg 2,42). Das, was die Apostel von Jesus empfingen und dann verkündigten, wurde später von ihnen selbst oder ihren Begleitern aufgeschrieben. Auf diese Weise entstand das Neue Testament. Die Botschaft sowohl des Alten als auch des Neuen Testaments wurde im Wesentlichen zuerst verkündigt und danach aufgeschrieben. Die Botschaft der Bibel wurde von Gott eingegeben und ist somit die Heilige Schrift.

 

2 Timotheus 3,16-17
Alle Schrift ist von Gott eingegeben und nützlich zur Belehrung, zur Überführung, zur Zurechtweisung, zur Erziehung in der Gerechtigkeit, damit der Mensch Gottes ganz zubereitet sei, zu jedem guten Werk völlig ausgerüstet.

 

Der vorrangige Weg, wie Gott heute zu uns redet, ist durch die Schrift. Was er mitzuteilen hat, ist nützlich und hilfreich für uns. Es gibt aber verschiedene Intentionen, die Bibel zu lesen. Im Wesentlichen geht es beim Lesen der Schrift um zwei Schwerpunkte. Zum einen wollen wir die allgemeine und umfassende Botschaft darin kennenlernen und zum anderen soll diese Botschaft uns persönlich ansprechen.

 

Unter der allgemeinen Botschaft verstehe ich das, was jeder wissen muss und was uns gleichermaßen angeht. Zuerst sollten wir die Bibel gründlich durchforschen, um die Wahrheit zu erkennen. Wir müssen verstehen, was Gott uns prinzipiell zu sagen hat. Die Bibel ist mehr ein Buch von Prinzipien als ein Handbuch. Jeder Christ sollte ein grundlegendes Verständnis vom biblischen Welt-, Menschen-, und Gottesbild bekommen. Er sollte die geistlichen Wahrheiten über die Erlösung und den christlichen Wandel, einschließlich der biblischen Werte bzw. Moral, kennenlernen. Um die Botschaft Gottes an uns tiefgründig und umfassend zu verstehen, gibt es die allgemein gültigen Regeln der Schriftauslegung (Hermeneutik und Exegese) und Hilfsmittel wie z.B. Kommentare und Lexika. Hier sind nicht zuletzt die Verkündiger gefordert, gesunde Lehre zu verbreiten.

 

Die persönliche Botschaft ist, wie der Name schon sagt, spezifisch und kann für den einzelnen unterschiedlich sein. Die zweite Absicht, die Bibel zu lesen, zielt auf die eigene Auferbauung ab. Jede tiefgründige Theologie, alles Studieren der geistlichen Prinzipien oder jedes Bibelgespräch muss hauptsächlich dem Zweck dienen, dass das Wort Gottes uns zur Auferbauung, Ermahnung und Tröstung dient. Es muss uns belehren, erziehen und korrigieren. Das gelesene oder in der Predigt gehörte Wort muss uns persönlich ansprechen und somit relevant für unser alltägliches Leben werden. Jedes Prinzip, jede theologische Erkenntnis muss einen praktischen Bezug bekommen. Aus diesem Grund liest der Christ im allgemeinen seine Bibel und versteht sie in diesem Sinne auch meistens richtig.

 

Die Bibel beinhaltet also Prinzipien und geistliche Wahrheiten, die auch Lehren bzw. Doktrien genannt werden, aber sie beinhaltet auch persönliche Worte, die unter Charismatikern gern als „Rhema“ bezeichnet werden. Der Unterschied zwischen beiden besteht darin, dass das, was die Bibel lehrt, allgemein gültig ist, und zwar unabhängig von den jeweiligen Personen oder Umständen. Im Gegensatz dazu ist der Vers, an den sich jemand in einer spezifischen Situation erinnert oder der Abschnitt, der ihn persönlich angesprochen hat und den er konkret für seinen Alltag interpretiert, nur für ihn individuell wichtig. Sein persönliches „Rhema“ hat keinen allgemein gültigen Charakter. Außerdem ist die Grundlage bzw. der Rahmen für ein persönliches Rhema immer die allgemein gültige Lehre.

 

Im Allgemeinen liest jeder Gläubige die Bibel in erster Linie für sich selbst. Er möchte dadurch gestärkt und auferbaut werden. Wie schon gesagt, ist es in einem gewissen Rahmen legitim, sie individuell zu verstehen und auszulegen. Da liest jemand vielleicht Jeremia 31,3 „Ich habe dich je und je geliebt und dich zu mir gezogen aus lauter Güte“, geht an sein Tagewerk und weiß sich von Gottes Liebe umfangen. Dass dieses Wort eigentlich an die Juden in der Verbannung gerichtet war, spielt hier eine untergeordete Rolle. Der Leser nimmt dieses Wort als Gottes Reden zu ihm persönlich an und ist auferbaut und getröstet. Der individuelle Umgang mit der Schrift kann aber problematisch werden, wenn grundlegende Prinzipien übergangen werden. Wenn z.B. jemand aus der Geschichte, wie Gott den Propheten Elia am Bach Krit übernatürlich versorgt hat, für sich ableitet, für seinen Lebensunterhalt nicht mehr arbeiten gehen zu müssen, wird die Grenze überschritten. Das übergeordnete Prinzip lautet nämlich: „Wer nicht arbeiten will, soll auch nicht essen“ (2 Thess 3,10). Wenn Gott jemanden z.B. in den Vollzeitdienst beruft, kann solch ein spezifisches Bibelwort natürlich eine zusätzlich Bestätigung sein. Wir dürfen die Bibel aber keinesfalls als eine geistliche „Lotterie“ betrachten, in der Verse willkürlich oder nach dem Zufallsprinzip gezogen werden. Dadurch sind gute Christen schon in ernsthafte Probleme geraten.

 

Ein weiteres Problem besteht darin, dass manchmal individuelle Erlebnisse als allgemein gültige Lehren hingestellt werden. Manche Christen nehmen hier ihre Erlebnisse zu wichtig, indem sie sie als einen allgemein gültigen Maßstab aufstellen. Aber so individuell unser Glaube bzw. unsere Gemeinschaft mit Gott ist, so unterschiedlich wird sie erlebt. Ein persönliches Erlebnis ist keine allgemein gültige Lehre und ist nicht immer auf jeden anderen Menschen übertragbar. Ein Hippi, der sich in den siebziger Jahren bekehrte, hielt es u.a. aufgrund von Apostelgeschichte 3,19 für notwendig, mit seiner verlodderten und kriminellen Vergangenheit radikal aufzuräumen. Weil ihm das einen wirklichen Neuanfang mit Jesus ermöglichte, wollte er diese, für ihn hilfreiche Lebensbeichte, prophylaktisch bei allen anderen Christen anwenden. Doch andere Christen haben andere Hintergründe. Um in seiner geistlichen Entwicklung endlich mal voranzukommen, braucht ein anderer vielleicht eher ein klares Verständnis von Römer 8,1 „So gibt es nun keine Verdammnis mehr für die, welche in Christus Jesus sind“.

 

Manchmal werden auch persönliche „Offenbarungen“ zu stark bewertet. Ein junger Mann leistete einmal einen Sozialdienst als Krankenpfleger, als er von Psalm 1,2-3 stark angesprochen war. Seine Nachtschicht bestand größtenteils aus einem Bereitschaftsdienst, den er seitdem dazu nutzte, seine Bibel zu lesen und über einzelne Verse nachzusinnen. Für ihn funktionierte das wunderbar. Als er aber erklärte, jeder Christ müsse täglich mindestens zwei Stunden die Bibel lesen und über Schriftstellen nachsinnen, und zwar am besten in der Nacht, stellte er in unzulässiger Weise eine allgemein gültige Regel auf. Andere Leute haben nämlich andere Berufe mit anderen Arbeitszeiten.

Ein anderer las 1 Thessalonicher 5,17-18 „Betet allezeit. Seid in allem dankbar.“ Ihm war völlig klar, dass es nichts anderes bedeuten kann, als ständig zu beten. Daraufhin ließ er sich wenigstens alle zehn Minuten von der Weckfunktion seiner Armbanduhr daran erinnern, Gott wieder zu danken und erlebte einen geistlichen Aufschwung. Allerdings erwartete er jetzt auch von anderen, es ihm nachzumachen, wenn auch sie in ihrem Leben gesegnet werden wollen.

 

Wenn solche oder ähnliche Dinge propagiert werden, brauchen wir ein gesundes Verständnis über die wirklichen Lehraussagen. Genau hier müssen wir die allgemein anerkannten Regeln der Schriftauslegung kennen und anwenden, um in der Mitte des Wortes zu bleiben. Diese Regeln kann ich hier nicht alle im Einzelnen nennen, weil es den Rahmen sprengen würde. Aber solche Aussagen wie Tag und Nacht über Gottes Wort nachsinnen, allezeit beten, sie blieben beständig in der Lehre, vernachlässige nicht die Gnadengabe, und ähnliche, müssen wir als übergeordnete Prinzipien verstehen. Es geht hier um unseren Lebensstil und nicht um das Einhalten von spezifischen bzw. buchstäblichen Regeln und Gesetzen.

 

Für unser Glaubensleben müssen wir den Unterschied erkennen, zwischen einer menschlichen Meinung, die sich zwar auf die Bibel beruft und einer wirklichen biblischen Lehre. Manchmal ist es notwendig, den Grundtext zu studieren oder sich über den kulturellen bzw. geschichtlichen Hintergrund zu informieren. Wir müssen klar zwischen dem unterscheiden, was die Schrift tatsächlich lehrt und wie es der Einzelne für sich persönlich verstanden, daraufhin angewendet und manchmal auch so erlebt hat. Es gibt Dinge, die die Bibel explizit lehrt und anderes, was wir so oder so verstehen können. Manches wird ohne Wertung einfach nur sachlich berichtet, wie z.B. die Gütergemeinschaft in der ersten Gemeinde oder dass sich die Gläubigen in Privathäusern zu den Gottesdiensten trafen. Daraus darf natürlich jeder seine eigenen Schlüsse ziehen, sollte aber gemäß der brüderlichen Liebe auch dem anderen seine Meinung zugestehen. Nebensächlichkeiten der Schrift sind es nicht wert, dass wir uns deswegen streiten. Bringe dies in Erinnerung und bezeuge ernstlich vor dem Herrn, dass man nicht um Worte streiten soll, was zu nichts nütze ist als zur Verwirrung der Zuhörer. Strebe eifrig danach, dich Gott als bewährt zu erweisen, als einen Arbeiter, der sich nicht zu schämen braucht, der das Wort der Wahrheit recht teilt (2 Timotheus 2,14-18).

 

Im Alten wie im Neuen Testament finden wir etliche Berichte über Ereignisse und Erlebnisse oder Verhaltensweisen von Menschen. Da Gottes Wort absolut wahr ist, hat es sich mit Sicherheit genauso zugetragen, wie es berichtet wird. Und ja, es kann für unser eigenes Glaubensleben hilfreich sein. Wir können aus Erlebnissen, vom Verhalten, aus Fehlern und Erfolgen, biblischer Personen viel lernen. Trotzdem ist nicht alles eine für uns verbindliche christliche Lehre.

 

Lasst uns zum Schluss noch das Beispiel des Apostels Paulus anschauen. Drei Mal berichtet das NT seine dramatische Bekehrungsgeschichte. Er erzählt sie selbst, sozusagen als sein persönliches Zeugnis, in Apostelgeschichte 22,6-16:

 

Es geschah mir aber, als ich auf meiner Reise in die Nähe von Damaskus kam, dass mich am Mittag plötzlich vom Himmel her ein helles Licht umstrahlte. Und ich fiel zu Boden und hörte eine Stimme, die zu mir sprach … Da ich aber wegen des Glanzes jenes Lichtes nicht sehen konnte, wurde ich von meinen Begleitern an der Hand geführt und kam nach Damaskus. Aber ein gewisser Ananias, ein gottesfürchtiger Mann nach dem Gesetz, der von allen Juden, die dort wohnen, ein gutes Zeugnis hat, er kam zu mir, trat herzu und sprach zu mir: Bruder Saul, werde wieder sehend! Und zur selben Stunde konnte ich ihn sehen.

 

Aber wenn es im NT um Errettung, Wiedergeburt und Sündenvergebung geht, wird das Beispiel des Paulus nicht zum Dogma stilisiert. Auch Paulus selbst erwähnt sein eigenes Erlebnis mit keiner Silbe. Kein Wort über ein helles Licht, eine Stimme die spricht oder eine vorübergehende Blindheit. Seine Lehre darüber ist schlicht:

 

Römer 10,9-13
Denn wenn du mit deinem Mund Jesus als den Herrn bekennst und in deinem Herzen glaubst, dass Gott ihn aus den Toten auferweckt hat, so wirst du gerettet. Denn mit dem Herzen glaubt man, um gerecht zu werden, und mit dem Mund bekennt man, um gerettet zu werden; denn: „Jeder, der den Namen des Herrn anruft, wird gerettet werden“.

 

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